Zirkus Gustowia Pierinotti

Kulturgut Saalkow e.V.
Inklusives theater- und kunstpädagogisches Projekt

Die Projektidee:

Die Grundidee entstand schon direkt im Anschluss an das Projekt „SommerNacht und TagTraum“ von 2018. Hatten wir dort schon Figuren-Erfindungen der Kinder durch Vergrößerung herausgestellt und in den Spiel-Verlauf mit einbezogen, wollten wir mit diesem Projekt noch intensiver die Mitglieder beteiligen: Klienten und Kinder sollten ihre eigene Figur entwerfen. Da wir die Zusammenarbeit mit Olga & Pierino, beide mit langjähriger Zirkuserfahrung in den größten Zirkus-Unternehmen in Europa, weiterführen wollten, entstand die Idee eines Tier-Zirkus.

Die Teilnehmer:

Aus der Region Gustow nahmen teil:

  • 8 Klienten des Insel e.V.
  • 4 Klienten der rügenassistenz GmbH
  • 6 Schulkinder (9 bis 13 Jahre)
  • 11 Kinder aus dem Kindergarten (4 bis 6 Jahre)

Die Zusammenstellung der Teilnehmer erforderte von uns intensiven und zeitaufwendigen Gesprächseinsatz; insbesondere eine direkte Ansprache der Eltern. Werbung durch Plakate oder einen Artikel in der Dorfzeitung bewirkten zunächst wenig.

Die Orte:

Als Proben-Raum wurde der Gemeindesaal in der Mitte des Dorfes gewählt. Unsere Hoffnung, daß auf diese Weise die Dorfbewohner mit eingebunden würden, hat sich erfüllt. Der Saal war ein geeigneter Proben-Raum; es stellte sich aber schnell heraus, daß er als Aufführungsort zu klein wäre. Auf einer Wiese direkt hinter dem Gemeindehaus sahen wir einen sehr geeigneten Aufführungsort. Notwendig für eine Freilichtveranstaltung wurde das Aufstellen eines Zeltdaches (8x6m), das die Spielfläche vor Sonne und Regen schützte.

Ort für die Schneider-, Kaschier-, und Mal-Werkstatt wurde das „Lernhaus“ des Insel e.V. in Kransdorf; ein großer heller Raum, der für alle Aktivitäten Platz bot, und auch im Projektverlauf die Klienten aus Kransdorf an der Herstellung der Kostüme und Masken teilnehmen ließ.

Der zeitliche Ablauf:
  • Organisatorische Besprechungen mit Verein Kulturgut Saalkow, rügenassistenz, Insel e.V., Bürgermeister und Gemeinderat im Herbst 2018
  • Idee-Entwicklung und Vorbesprechungen mit Pierno & Olga und Uta Dietze im Winter 2018/2019
  • Vorlaufphase Juni 2019
  • Schneider-, Kaschier- und Mal-Werkstatt ab 15. Juli 2019
  • Probenarbeit mit Olga und Pierno vom 22. Juli bis 09. August
  • Öffentliche Aufführung am 10. August 2019
Die Vorlaufphase:

Mit den unterschiedlichen Teilnehmergruppen trafen wir uns an verschiedenen Orten, um Figuren für den Tierzirkus zu entwerfen. Hervorragend klappte die Zusammenarbeit mit den Klienten aus Kransdorf, eine sehr motivierte und umsichtig betreute Gruppe. Gleich in der ersten Veranstaltung am 17. Juni entstanden interessante Entwürfe sehr ungewöhnlicher und starkfarbiger Tiere. Die Zeichnungen, die wir zu Kostümentwürfen umarbeiteten – wobei wir aber möglichst nah bei ihren Vorstellungen bleiben wollten – , forderten auch zum Bau von Masken heraus. Ich fertigte aus Karton-Pappe große Masken, die von den Klienten überkaschiert wurden.

Am 21. Juni arbeiteten wir zum ersten Mal im Kindergarten. Entscheidungen für eine Figur und ihre Darstellung waren, besonders bei den kleineren Kindern, schwierig und kaum für Kostüme nutzbar. Es ergab sich zudem die Idee, daß alle 30 Kinder des Kindergartens am Projekt teilnehmen sollten. Wir kamen darauf, szenisch umsetzbare Gruppenthemen zu suchen: Eine Schmetterlings-Gruppe, eine Fisch-Gruppe, vielleicht noch eine Blumen-Gruppe.
So ließen wir bei einem zweiten Treffen die Kinder zu diesen Themen zeichnen und malen. Wir entwickelten die Idee von der langen Raupe, die sich in viele Schmetterlinge verwandelt, und die Idee von einfach herzustellenden Nessel-Kostümen, die von verschiedenen Teilnehmern und von uns bemalt werden könnten.

Mit den Schulkindern trafen wir uns zu verschiedenen Terminen, an denen sorgfältige und teilweise schon differenziert durchdachte Figuren-Erfindungen entstanden (z.B. „Mause-Qualle“, „Bienofant“). Mit einem 9jährigen Mädchen entwickelte ich den Entwurf für den Zirkus (Vorhang, Fahnen); sie erfand auch mit ihrer Schwester zusammen den Namen „Gustowia Pierinotti“.
Nach den bereits entstandenen Entwürfen sucht ich mit Uta Dietze zusammen in Bremen Stoffe aus. Wir bestelllten schwarzen Molton zur Verdunkelung, Nessel für Vorhänge,  Abdeckungenm Kostüme, Diolen-Watte zur Auspolsterung der Kostüme, außerdem viel Zubehör (Gummiband, Klettband, Garne, Korsett-Stangen, Schaumgummi, Farben usw.) Hinzu kamen gelagerte Stoffe von uns und den Schneiderinnen.

Schneider-, Kaschier-, und Mal-Werkstatt:

Am 15. Juli begannen die Gewandmeisterin Uta Dietze und die Theaterschneiderin Bärbel Luschas – beide aus Bremen – ihre Arbeit. In zwei Wochen sollten Kostüme für 29 Teilnehmer entstehen. 14 davon waren sehr individuelle Kostüme, teilweise sehr arbeitsaufwendig. In ca. 200 Stunden schafften sie diese Arbeit, die in einem sehr kreativen Austausch zwischen uns und den Schneiderinnen stattfand.
Der Raum war sehr belebt und verändert: An einer großen Magnetwand hingen Zeichnungen, Kostümentwürfe und Stoffproben. Die Stoffe lagen auf Tischen geordnet, daneben ein großer Zuschneidetisch; mitgebrachte Nähmaschinen, Overlock-maschinen, Bügelanlage, Schneiderpuppe, ein großer Spiegel zur Anprobe waren die Ausstattung.
An einer Seite des Raumes standen Tische mit Materialien und Werkzeugen zum Kaschieren der Masken, an einer anderen Seite ein großer Tisch zum Bemalen von Kostümen und Vorhängen.

Probenarbeit:

Am 18. Juli trafen Olga & pierino ein, um am 19. und dem Wochenende den Proben-Raum und ihre Veranstaltung vorzubereiten. Für ihre Arbeit ist der verdunkelte, sorgfältig mit Requisiten Podesten und Licht gestaltete Raum eine wichtige Voraussetzung für eine konzentrierte Arbeit. Die Teilnehmer, besonders die kleinen Kinder, werden in ihre Zirkuswelt hineingezogen und „verzaubert“. Am 22. Juli stellten sie sich in einem ausführlich bebilderten Bericht vor: Von weit her kommend, aus der Schweiz der Eine, und aus Wladiwostok von der chinesischen Grenze die Andere, als Kinder, als Lehrer, als Tänzerin und Zirkusclown im Zirkus Krone und anderen Zirkus-Unternehmen, als Spieler in eigenen Programmen und in der Zusammenarbeit mit Kindern und Klienten. Zu dieser Eröffnungsveranstaltung konnten auch Eltern und Interessierte kommen.

Die Proben-Tage waren gleichmäßig eingeteilt:

  • um 9 Uhr kam der Kindergarten
  • um 11 Uhr kamen die Schulkinder (es waren Sommerferien)
  • um 13.30 Uhr kam die Kransdorfer Klienten-Gruppe
  • um 16 Uhr die Klienten aus Saalkow

Jede Probestunde wurde zum Ereignis: Es war verblüffend, wie Pierino es schaffte, die kleinen Kinder zur äußersten Konzentration zu bringen. In einem Wechsel von ernsthaften Proben und Überraschungen gelang es ihm fast ohne Worte, eine intensive Arbeitsatmosphäre herzustellen. Dabei bezog sich das Trainingsmaterial zunächst nicht auf die Szene, die entstehen sollte; diese wurde erst gegen Ende geprobt. So meinte eine Mutter: „Sie haben so viel gelernt und können das gar nicht alles zeigen!“ Schließlich ging es am Ende um eine abwechslungsreiche, flüssige Zirkusveranstaltung.

Olga trainierte mit den Klienten-Gruppen mit intensivem Kräft-Einsatz. Sie strahlte eine positive Energie aus, die die Teilnehmer mitriß. Für jeden Teilnehmer hatte sie Stepp-Schuhe geliehen; Lautstärke und Rhythmus führen zu lustvoller Bewegung bei Menschen, die es zum Teil schwer haben, ihre Beine zu koordinieren. Auch wenn das Steppen nicht Bestandteil der Vorführung war, ermöglichte es gezielte Bewegungen in den Zirkus-Szenen und machte die Teilnehmer mutig.

Auffallend war auch das Einfühlungsvermögen von Pierino & Olga in die Möglichkeiten und die Bedürfnisse jedes einzelnen Teilnehmers. Mit großem Einsatz förderten sie Entwicklungen. Ein kleine Mädchen etwa, das am Anfang immer wieder weinte, schaffte einen eigenen kleinen Auftritt mit einem Reifen bei der Aufführung.

Die Öffentlichkeits-Arbeit:

Wir schrieben drei Artikel in der Dorfzeitung „Bi uns to Hus“; in den Ausgaben Juni/Juli 2019, August/September 2019 und Oktober/November 2019. Ein großes Banner hing während der gesamten Probenzeit vor dem Gemeindehaus. Im Kindergarten und im Dorfladen „Natur-Insel“ hingen Ankündigungsplakat und Teilnehmerlisten. Der Flyer, gedruckt im Spielkartenmuseum Stralsund mit einer Auflage von 500 Stück, wurde auch digital verschickt und führte zu einem Artikel auf der Titelseite des Anzeigenblattes „Blitz“.

Die Aufführung:

Der Ort wurde festlich inszeniert: Eine große Figur vor dem Gemeindehaus aus dem Projekt „SommerNacht und TagTraum“ des letzten Jahres; ein festlich geschmückter Weg mit großen kaschierten und gemalten Blumen, Figuren, und Libellen aus Geäst und Stoff (Projekt 2018); drei ca. 5m hohe Blumen markierten den Ort.

Um die Arena herum stellten wir 40 Biertischbänke auf; das Dach über der Spielfläche konzentrierte den Ort; der Auftrittsvorhang wurde nach dem Entwurf von Ella (9 Jahre) mit zwei großen rosa Elefanten bemalt; die Abdeckungvorhänge waren mit den gemalten Masken geschmückt. So entstand eine gute Atmosphäre für die Vorstellung.

Die Bänke wurden alle besetzt, viele Zuschauer standen; so hatten wir 250-300 Besucher. Den Besuchern wurde ein Programm überreicht, der blaue Vogel empfing sie mit einer Dreh-Orgel, unterstützt wurde er von Robin am Schlagzeug. Pierino begrüßte das Publikum und hilet eine kurze Rede über die Arbeit mit diesen „besonderen Menschen“. (Mit einem von mir geschriebenen Kommentar wird sie in der Oktober/November-Ausgabe von „Bi uns to Hus“ abgedruckt.

Es gelang Pierino und Olga Zirkus – Atmosphäre herzustellen, kleine Ereignisse „aufzuladen“ und bedeutend zu machen und das Publikum nahm dies glücklich an. Die Musik war immer stimmig und unterstützte die Aufführung. Die Kostüme waren aufwendig, farbig und heiter. Zusammen mit den Masken entstanden interessante Figuren. Die schönen Bilder, die gut ausgewählte Musik, der flüssige Ablauf der sehr unterschiedlichen Szenen führten zu viel Applaus und einem heiteren Publikum. Mütter der Kindergartenkinder hatten gebacken, Vereinsmitglieder sorgten für Getränke. So gab es Kaffee und Kuchen zum Ausklang dieses schönen Nachmittags.

Prof. Peter Steinecke im September/Oktober 2019

Mehr Informationen:
Website der „Dorfzeitung“ Bi uns to Hus [Link]
Oktober/November 2019 Ausgabe Bi uns to Hus [PDF]