RITA REPRESENTS

fachbetrieb rita grechen
Projekt: RITA REPRESENTS
Homepage: https://ritagrechen.com/[→]

Projektverlauf

Nach den Förderzusagen haben wir Mitte Juli eine Konkretisierung des Konzeptes vorgenommen, den Bau des Kaffeewagens sowie die Realisierung der Bücher und des Blog geplant. In der Woche vom 20. bis 25. Juli 2020 haben Laura Immler und Julius Zimmermann mit der Bauphase begonnen. Die Hauptaufgaben für die Bauphase teilten sich in zwei Bereiche: Die Bücher binden und gestalten und den Kaffeewagen bauen. Beide Aufgaben haben etwas mehr Zeit in Anspruch genommen als im Vorfeld geplant, finanziell sind wir aber mit unserer Mittelschätzung relativ gut zurecht gekommen. Der Plan, den Kaffeewagen als Fahrradanhänger zu bauen, musste verworfen werden, da der als Basis angeschaffte Fahrradanhänger der Aufgabe nicht gewachsen war. Im Handbetrieb allerdings funktionierte dieser als Unterbau gut und den Wagen per Hand bzw. zu Fuß durch die Stadt zu schieben fügte sich konzeptionell gut ein. Die Bücher sind im Stile eines Freundschaftsbuches gestaltet worden, in denen sich die Leute eintragen und insgesamt 19 Fragen beantworten konnten wie „Was willst du fühlen?“, „Welchen Text würdest du auf eine Bühne bringen wollen?“, „Was ist deine schönste Erinnerung an ein live-Erlebnis?“ und „Was irritiert dich am Theater?“.

Foto: Julius Zimmermann

Vom 29. Juli bis 16. August fand dann die Residenz am Festspielhaus Hellerau und somit auch der Durchführungszeitraum im öffentlichen Raum in und um Dresden statt. Geplant war in einem zyklischen Prozess jeweils an einem Tag mit dem Kaffeewagen durch die Stadt zu ziehen, die Menschen zu fragen, was sie gerne im Theater sehen, hören und fühlen möchten und diese Wünsche dann am nächsten Tag direkt umzusetzen. Das Ziel war es, damit einen direkten Austausch zwischen uns und dem Publikum und damit einen feedback-Prozess in Gang zu setzen. So wurde sich am ersten Tag guter Fußball, nichts mit Alter, junge Menschen, Performance im öffentlichen Raum, Barock- und Rokokokostüme und Chorgesang gewünscht. Daraus entstanden ist am nächsten Tag ein wandernder Dynamo-Chor an der Elbe, der als Live-Performance im öffentlich Raum stattfand und gleichzeitig gefilmt und auf dem Blog hochgeladen wurde. Am nächsten Tag sind wir dann wieder durch die Stadt gezogen und haben Kaffee verschenkt und mit den Menschen über Theater geredet. So sind in der ersten Woche 2 Live-Performances (+Video), ein Video und ein Gedicht entstanden. In der Woche vom 10. bis 16. August haben wir dann dieses schnellen und intensiven Produktionsprozess hinterfragt. Herausgestellt hat sich für uns, dass die Unterhaltung und der Kontakt zu den Menschen und dem potentiellen „Publikum“ der viel wertvollere Aspekt der Recherche ist. Gleichzeitig haben wir in der ersten Woche auch herausgefunden, wie unglaublich divers und kreativ die Wünsche der Menschen sind. Wir haben uns dann wieder mehr auf die Gespräche an sich konzentriert, als auf deren Verwertung. Zusätzlich waren wir mit Unterstützung des Vereins colorido e.V. am 8. August auf dem Unikatival in Plauen, ein kleines Stadtfest mit Vertreter*innen der ansässigen Vereine, die sich insbesondere für Toleranz und Anti-Rassismus im ländlichen Raum einsetzen. Dort haben wir die Bücher ausgelegt und sind mit Menschen ins Gespräch gekommen über ihre Erfahrungen und Wünsche das Theater betreffend. Dadurch, das der Wagen wie oben schon beschrieben kein Fahrradanhänger mehr war, sondern per Hand gezogen werden musste, war unsere Mobilität dahingehend auch etwas eingeschränkt. Wir konnten mit dem Kaffeewagen also nicht wie geplant komplett aus Dresden raus in den ländlichen Raum fahren, sondern haben uns auf Stadtteile Dresdens beschränkt und dabei aber versucht, eine gewisse Diversität abzubilden. Neben Pieschen und der Neustadt wurden also auch die Friedrichstadt, Gorbitz und Klotzsche angefahren.

Foto: Julius Zimmermann

Schließlich konnten wir am 13. September am Tag des offenen Denkmals am Festspielhaus Hellerau unsere Ergebnisse präsentieren. Wir waren mit dem Kaffeewagen vor Ort, haben auch dort wieder Kaffee gekocht und mit Menschen gesprochen. Gleichzeitig haben wir auf zwei Screens die entstandenen Videos sowie eine kleine Videodoku des Projektes gezeigt und haben die beschriebenen Bücher ausgestellt. Zusätzlich haben wir die Ergebnisse sowie den Prozess in einer 20-minütigen lecture-performance vorgestellt.

Foto: Julius Zimmermann

Auf unserem Blog haben wir begleitend die Ergebnisse hochgeladen sowie Einblicke in den Prozess gegeben. Er ist unter https://ritagrechen.com/projekte/rita-represents/ archiviert und zu finden.

Resonanz, Selbsteinschätzung und Ergebnisse der Recherche

Der Wagen und die Bücher waren ursprünglich als Mittel gedacht, um Material zu generieren. Wir dachten uns ungefähr: Wenn wir Gespräche führen, an verschiedenen Orten, mit Menschen aus verschiedenen Lebensrealitäten, dann können wir ein Stimmungsbild einholen, dass die Diversität von Dresdens Bedürfnissen an kulturelle Veranstaltungen einigermaßen abbildet und uns im nächsten Schritt die Möglichkeit eröffnet, diese Wünsche einzubeziehen und Theater zu machen, das auf mehr Menschen, die verschiedener sind, zugeht.

Foto: Julius Zimmermann

In einigen Punkten gab es enorme Übereinstimmungen: kaum jemand, der*die sich nicht die Elbe oder einen anderen „Natur“-Ort (und zwar meist ein Gewässer) als Veranstaltungsort wünscht. Immerhin war auch August mit konstant über 30 Grad. Als Thema wurde sehr oft in verschiedenen Ausführungen das „Miteinander“ vorgeschlagen. Dabei geht es dann etwa um Verteilungsgerechtigkeit, gewaltfreie Kommunikation, einen Gemeinschaftssinn oder die Möglichkeit von Begegnung. Meistens sind die Antworten in ihrer Konkretion aber zutiefst einzigartig: alle wollen etwas anderes. Und dem kann man natürlich beim besten willen nicht nachgehen (und ob man das will ist noch eine andere Frage). Ein reines Fragen und darauf folgendes Umsetzen war und ist in dem Maße also nicht möglich gewesen.

Foto: Julius Zimmermann

Stattdessen ist etwas anderes passiert. Der Wagen und die Bücher haben völlig anders gearbeitet als erwartet. Zum einen war der Kaffee nicht wie erwartet ein Köder um Menschen überhaupt erst dazu zu bewegen mit uns zu reden: fast alle wollten, überall. Insbesondere durch die Bücher. Der Vorschlag „Ich lass dir das mal hier mit einem Stift und lass dich damit eine Weile allein und hol’s mir dann wieder“ wurde meist strahlend angenommen. Die Menschen nahmen sich erstaunlich viel Zeit, saßen teils über eine Stunde mit dem Buch. Bedankten sich, sagten, es habe viel Spaß gemacht, sie hätten lang nicht mehr über so etwas nachgedacht. Ohne irgendwo hinzuführen sind die Gespräche am Wagen und die Momente mit den Büchern zu Live-Erlebnissen der Kontemplation geworden, Rhythmusverschiebungen, die sich vom Alltag absetzen: statt Recherchestütze zu sein sind sie für sich selbst wertvoll geworden und haben sich zum Kunstwerk emanzipiert. Und zwar zu einem Kunstwerk, auf das Dualismen wie Publikum-Performer*in, Autor*in-Leser*in, Bühnenraum-Zuschauerraum, Probenphase-Aufführung, Vermittlung-Werk und so weiter nicht wirklich anwendbar sind.

Foto: Julius Zimmermann

So divers die Antworten auch waren, die wir erhalten haben – in manchen Bereichen zeigt sich doch auch eine Tendenz. Etwa der Wunsch, Veranstaltungen und Theaterabende zu schaffen, die „für alle zugänglich“ und „verständlich“ sind, die nicht „elitär“ sind. Gleichzeitig wünschten sich viele, „überrascht“ und „gefordert“ zu werden. Unsere Vermutung ist, dass für viele Menschen die Auseinandersetzung oder Konfrontation mit schwierigen, fordernden Themen schon interessant ist – dass die Form und Zugänglichkeit des Theaters in seiner jetzigen Form allerdings oft im Weg steht. Es müsste bei der Vermittlung und an der kontextuellen Platzierung angesetzt werden, um dieses Problem zu lösen. Auf die Frage, „Was glaubst du, warum interessieren sich so wenig Menschen für Theater?“ antwortete eine Person: „Vielleicht weil eine Person fehlt, die einem zeigt, was schön und interessant daran sein kann.“