Li la Laube. Ein Färbergarten für Haus Coburg

Städtische Galerie Delmenhorst
Projekt: Li la Laube. Ein Färbergarten für Haus Coburg
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Li la Laube. Ein Färbergarten für Haus Coburg

An die Beete – fertig – los! hieß es im März diesen Jahres auf dem Hof der Städtischen Galerie Delmenhorst, Haus Coburg. Wie sonst einen Garten starten?, fragt Kunstvermittlerin Katrin Seithel. Genau, zuerst müssen Beete her, genauer gesagt Hochbeete! Also legen unsere 10 Kids im Alter von sechs bis zwölf Jahren aus dem Hort der Kindertagesstädte Süd der Lebenshilfe Delmenhorst und Landkreis Oldenburg e.V. los. Neugierig und voller Tatendrang. Dass sie in ihren Osterferien, über den Sommer hinweg und im Herbst im wahrsten Sinne des Wortes die Früchte ihrer Arbeit ernten würden, beantworteten sie zu diesem Zeitpunkt noch mit ungläubigem Schulterzucken. Was zählte, war zunächst die die coole Action.

Ein Färbergarten für Haus Coburg, Foto: © Lars Holscher

Ein respektabler Haufen Muttererde und ein Holzhäckselberg wurden von einem großen Lastwagen abgekippt. Ein Klassiker im Vorfrühling; die Kollegen von der Abteilung Stadtgrün standen dem Projekt gerne zur Seite. Die Kids schnappten Schaufeln, Eimer, Schubkarren und mittendrin arbeitete der Bildhauer Franz Burkhardt mit hochgekrempelten Ärmeln an seinem begehbaren Werk, der „Li la Laube“, die für unsere Färbergartenkinder und ihr Equipment zukünftig ein Refugium sein sollte. Die Kids staunten nicht schlecht über den souveränen, handwerklichen Zugriff des Künstlers; da ging man gerne in die Lehre. Über die Farbwahl, über allerlei Nutzungswünsche wurde trefflich mit ihm diskutiert. Die Kinder legten selbst Hand an; Stück für Stück wurde die Hütte in Beschlag genommen. Eine Butze, die ein bisschen Tom Sawyer, ein bisschen Abenteuer und Anarchie verspricht… Noch dazu verweist sie in die spannende Historie des 1905 erbauten Coburg’schen Anwesens: Der Garten der einstigen Arztvilla muss legendär gewesen sein, darin ein Brunnen, eine Pergola und eine Laube – in der einst die Kinder der Arztfamilie spielten.

Vorbereitung der Hochbeete, Foto: © Galerie Delmenhorst
Voller Einsatz im Beet, Foto: © Galerie Delmenhorst

Das Team von Haus Coburg, der Freundeskreis Haus Coburg e.V. und die Vertreter der Presse staunten nicht schlecht über die Verwandlung des bis dahin mehr schlecht als recht genutzten Hofes. Dann war zu erklären: Was nun ist ein Färbergarten? Ganz einfach: Färberpflanzen werden angepflanzt und kultiviert. Dafür wird im Spirit gemeinsamen Forschens allerhand altes Wissen recherchiert, es wird gesät, gegossen, mit selbst angesetzter Brennesseljauche gedüngt und natürlich geerntet. Im Anschluss werden mit verschiedenen Verfahren Naturfarben hergestellt. Diese Farben wiederum werden zum Malen, Zeichnen, Drucken und Färben eingesetzt. So gesehen, war und ist unser Färbergarten ein niedrigschwelliges, auf Partizipation und Interdisziplinarität angelegtes Projekt, für das die pro Jahr rund fünf Wechselausstellungen des Hauses unzählig Inspiration lieferten. Jeder Gartentag auf dem Coburg’schen Anwesen war auch ein Museumstag. Kunst durch die Blume betrachten, lautet Katrin Seithels Motto. Die „Wardschen Kästen“, Gewächshausskulpturen der Berliner Bildhauerin Isa Melsheimer, oder die Schafshabitate des Künstlers und Stadtforschers Georg Winter spielten dem Projekt in diesem Jahr genial in die Karten. Die linearen Zeichnungen des jungen Crossoverkünstlers Stefan Marx, die er im Sommer in seinem „Memory Palace“ zeigte, waren ein wunderbarer Anlass, um schwarze Tinte aus rostigen Nägeln und Bananenschalen herzustellen und anschließend selbst für allerhand Insektenzeichnungen einzusetzen.

Bepflanzung, Foto: © Galerie Delmenhorst

Die Kinder des Lebenshilfe-Horts säten und pflanzten im Frühjahr zum Beispiel Tagetes, Petunien, Rotkohl, Geranien und römische Kamille. Im Verlauf des Jahres wurden sie kontinuierlich durch eine zweite Kindergruppe, durch wiederum 10 Kids im Alter von sechs bis zwölf Jahren aus der AWO-Nachmittagsbetreuung der Parkschule Delmenhorst, unterstützt. Auch diese Truppe hat den Färbergarten in seinem Jahreslauf als interdisziplinäres, ganzheitliches Projekt erlebt. Allesamt okkupierten nicht nur die „Li la Laube“, sondern auch diverse Backstage-Räume der Villa Coburg als Pflanzenaufzuchtstationen, später wurde in allen Ecken und Enden des Hauses Triebe und Blüten getrocknet. So entstanden die Ingredienzen für die grüne Hexenküche der Kids. Herd und Töpfe kamen an den Start, Wasser, Alaun, auch Natron, Zitronensaft, Essig und andere einfache Trickser-Mittel zauberten (teils sehr befremdliche) Gerüche, vor allem aber ein immer wieder überraschendes Farbspektrum hervor. Zu lernen war: Eine rote Blüte wird nicht unbedingt zu roter Farbe, ein unscheinbarer Lilafarbton verwandelt sich plötzlich zu einem kräftigen Pink oder einem strahlenden Blau.

Laubenbau mit dem Künstler Franz Burkhardt, Foto: © Galerie Delmenhorst

Der geradezu alchimistische Herstellungsprozess der Farben war für die teilnehmenden Kids ein Sinnenfest, in dem es um einen immer wieder neuen Augenschmaus, aber auch die Haptik von zarten, von ledrigen, von schmerzenden Pflanzen wie um allerlei olfaktorisches Erleben ging. Überraschungen en masse waren geboten: Nicht nur im brodelnden Topf, auch auf dem Blatt, auf Druckplatten, auf Stoffen beobachteten die Kinder die Lebendigkeit ihrer Farben, deren Intensität und Fluss, deren Veränderungen im Trocknungsprozess. Allemal war zu verstehen, dass man sich mit einem Ziel vor Augen in Fragen der Farbproduktion die Natur zu einem Partner machen muss, dass sie im Zuge dessen immer auch eigenwillig bleibt. Werke gelangen mal mehr, mal weniger, Pflanzen wie zum Beispiel der Rotkohl als optischer Star auf unseren Hochbeetbühnen gediehen, manche kümmerten vor sich hin oder verpassten ganz ihren Auftritt. Das Scheitern als guter Freund beim Lernern gehört essentiell zum Gärtnern wie zur künstlerischen Arbeit. Dabei war der Jahrhundertsommer 2018 eine besondere Herausforderung mit Blick auf das tägliche Hegen und Pflegen der ‚Plantagen‘. Somit halfen auch das Team von Haus Coburg und der Freundeskreis Haus Coburg, die Pflanzungen der Kinder zu Oasen im Delmenhorster Wüstenwind zu machen.

Rotkohlpflege, Foto: © Galerie Delmenhorst

Parallel zu den beiden kontinuierlich arbeitenden Kindergruppen fanden im Verlauf des Gartenjahres 10 Schnupperkurse für Kitas und Grundschulen statt. Vielfach nachgefragt wurden die offen formulierten Kurse „Blütensaft & Farbenpracht“ und „Fleurs di fossilos“, in denen es um das Herstellen von Naturfarben, dann das freie Malen und Zeichnen ging, um Abklatschverfahren und bildhauerisches Arbeiten. Zum Renner wurde „Happy Hippie DIY“, ein Kurs in dem die Kinder Stoffe mit Naturfarben aus Kurkuma, Färberkrapp und Blauholz färben konnten. Langarmshirts, Turnbeutel und andere Dinge wurden farbintensiv gebatikt. Außerdem wurden Stoffbahnen mit dem Eco-Print-Verfahren gefärbt. Bei diesem Verfahren lassen sich Pflanzen- und Blütenteile unter Zuhilfenahme eines Dampftopfes direkt auf einen Stoff drucken. Das Angebot „#Video Tutorial“ wurde an die Bedürfnisse einer interessierten Gruppe angepasst. So entstand begleitend zur Ausstellung „Memory Palace“ von Stefan Marx eine Stopptrickanimation, in der die Kinder Insekten fliegen ließen. Und mit dem Beginn der Georg Winter’schen Stadtverschafung stand die gute alte „Malerei plein air“ hoch im Kurs. Pflanzen und Tiere standen geduldig Modell, während geistig ventiliert wurde, was der Magen eines Wiederkäuers eigentlich tagein tagaus mit all dem gefutterten Grünzeug macht …

Das Färbergarten-Jahr schloss unter dem Motto “Kunst ernten“ mit einem illustren Hoffest ab. Der Freundeskreis Haus Coburg hat diesen Nachmittag – wie all die anderen mehrtägigen Kurse des Färbergarten-Jahres (!) – kulinarisch begleitet. Eine Beamer-Präsentation in der Laube ließ das Gartenjahr Revue passieren, ein letztes Mal wurden Samenbomben gebaut, wurde plein air aquarelliert – und die Schafe sagten määääh dazu.

Was im Frühjahr noch Schulterzucken hervorrief, war jetzt durch Leib und Seele unserer Gartenkünstler gegangen. Ein intensiver, gemeinsamer Lernprozess hatte stattgefunden, einer, der den Wert der eigenen Arbeit und der sensiblen Produkte anschaulich machte. Dabei ist zu vermuten, dass viele kaum kalkulierbare Side-Effects mindestens genauso wichtig waren, wie das Kerngeschäft des Gärtnerns und kreativen Gestaltens. Die Angebote von Kunstvermittlerin Katrin Seithel lassen bewusst Freiräume zu. Kinder können auch einfach einmal abschweifen, einen interessanten Stein, eine Larve, ein totes Insekt unter die Lupe nehmen, in den benachbarten Park ausschwärmen, in der Galerie lange ein Bild anschauen, dann wieder versonnen in das Flüsschen Delme starren oder sich einfach mal die Sonne auf den Pelz brennen lassen. Das gehört auch zu den Coburg’schen Färbergartentreffen. „Ich könnte ja Gärtner werden“, sinnierte der 8-jährige Tobias an einem solchen beglückenden Nachmittag. Bislang hatte er eher mit dem Berufsbild des Bauarbeiters geliebäugelt.

Kunst ernten. Früchte aus dem Färbergarten von Haus Coburg, Foto: © Galerie Delmenhorst

Der Coburg’sche Garten geht aus seinem ersten Jahr als kräftiger Steckling hervor. Die Kids haben Haus Coburg samt seinem Hof zu dem Ihren gemacht; ein bisher eher undefinierter Außenbereich ist zu einem Hauptschauplatz geworden. Selbst Nachbarn unseres Anwesens entdecken die neu entstandene Enklave, Nachbarkids, die sonst nie den Mut finden würden zu uns zu kommen, sitzen nachmittags zwanglos in unserem Färbergarten.

Li la Laube – Ein Färbergarten für Haus Coburg – Eine Auswertung, Foto: © Galerie Delmenhorst

Mit dem Feedback der teilnehmenden Kids und ihrer pädagogischen Begleitung, mit all den neuen Erkenntnissen über den Eigenwillen mancher Pflanzen und mancher Prozesse möchten wir nächstes Jahr wieder in ein neues Garten-Kunst-Jahr starten: Pflanzen, die ihren Job als Färberpflanze ausgefüllt haben, werden wieder an den Start gehen, mit neuen Kandidaten wird experimentiert werden. In jedem Fall werden die Kids des ersten Coburg‘schen Färbergartenjahres ihr Wissen weitergeben. Das Färberpflanzenarchiv wird weiter anwachsen, außerdem ist die bildlhauerische Arbeit mit Insektenhotels und Lichtobjekten in Planung wie generell eine intensivere Vernetzung mit unseren Nachbarinstitutionen, faktisch ein Austreiben des Projektes. Die Samenbomben der Kids, wie unser Druckmobil sind nicht die schlechtesten Tools für diesen Expansionsdrang. Dabei wird es uns nicht zuletzt darum gehen das Projekt auch für Jugendliche aus sozial benachteiligten Familien zu öffnen.

Dr. Annett Reckert, Dezember 2018