Bau dein Haus! VerRückte Architekturen in Keramik
Stiftung KERAMION – Zentrum für moderne+historische Keramik
Ein Ferienprojekt für Kinder mit Susanne Hanf
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Im Garten auf einem Hügel sitzend, das Gebäude der Stiftung Keramion betrachtend und studierend, so beginnt unser Ferienkurs. In den nächsten vier Tagen werden wir uns mit Keramik und Architektur , mitkreativem eigenen Schaffen mit Ton und derRezeption von Keramik-Kunst und von gebauter Architektur beschäftigen.
Der seit 2002 unter Denkmalschutz stehende Bau des Architekten Peter Neufert und des Ingenieurs Stefan Polónyi (1970/71) eignet sich in besonderem Maß zur Erkundung mit Kinderaugen. Wir arbeiten uns von außen nach innen vor, benennen und verstehen, begreifen statische Zusammenhänge und beschreiben unsere Gefühle, die Wirkung des Gebäudes auf uns. Neugierig durchstreifen die 8 Kinder alle Bereiches des Ausstellungsgebäudes, dass sieben von ihnen zum ersten Mal betreten. Nebenbei erkunden wir schon mal die zwei Sonderausstellungen und die ständige Präsentation von historischer und moderne Keramik, die sich in den beiden Ausstellungsgeschossen des Keramion befinden.
Nach einer Stunde wird es Zeit für den ersten Kontakt mit Ton, schließlich wollen die Kids vor allem selbst etwas herstellen und wir ziehen weiter in den Pavillon der Museumspädagogik auf dem Außengelände des Keramions. Spielerisch beginnen wir, indem zunächst jeder eine dicke Ton-Kugel produziert, aus denen wir kleine Häuser herausarbeiten wollen. Die Kugeln höhlen die Kinder durch Daumendruck aus und gestalten sie weiter durch Hinzufügung von Details. Kleine Gärten tauchen plötzlich noch auf, und so entsteht bald eine Gruppe kleiner urwüchsiger Häuschen. Die Teilnehmenden sind völlig erstaunt und beglückt, wie problemlos sie ein erstes selbstgemachtes Objekt in Händen halten, ihr eigenes Haus, das ihre Handschrift trägt.
Melonen-Pause unter der alten Linde.
Erfrischt ziehen wir wieder ins Museum – herrlich, da darf man einfach rein und raus, wie man gerade Lust hat – um eine Art Preview der Ausstellung „Der umbaute Raum. Architekturen in Keramik“ anzuschauen. Hier hat das Team des Keramion unter Leitung von Gudrun Schmidt-Esters für uns Exponate aus dem Depot geholt, die verschiedene Auffassungen von umbauten Raum und architektonischen Versatzstücken besitzen.
Arbeiten von Johannes Gebhardt, Frank Steyaert, Friedensreich Hundertwasser, Michael Moore, Lee Babel, Thomas Tyllack, Karin Bablok, Michael Cleff und Pablo Picasso können eingehend studiert werden. Absolutes Lieblingsstück aller Kinder ist die Krug-Form von Picasso „La Tarasque“ (1954), die zugleich Tier als auch Burg ist und die Fantasie der Teilnehmenden durch ihre Mehrdeutigkeit und narrative Ausstrahlung anregt.
Fast ist der erste Tag um. Rasch stellen wir noch einige Ton-Platten mit dem beliebten Schneidebügel her. Allen macht diese Vorbereitung für den nächsten Tag großen Spaß. (Wir verwenden roten 40% schamottierten Ton, der bereits eine gewisse Standfestigkeit besitzt und eine geringe Trockenschwindung aufweist und sich gut für Kinder handhaben lässt.)
Die sommerlichen Temperaturen begleiten uns auch am zweiten Tag. Wir arbeiten im wunderbar lichtdurchfluteten Pavillon, in dem sich unsere Töpferwerkstatt befindet.
Die Teilnehmenden feilen an ihren Ideen für ihre eigenen Häuser. Bei extrem unterschiedlichen Entwürfen entscheiden sich dennoch alle dafür mit Ton-Platten aufzubauen. Das erstaunt, da ihre Begeisterung für die organische Form der Picasso Plastik anderes hatte vermuten lassen. Erste gemeinsame Übungen in der Plattenbautechnik verschafft das nötige Know How für die Umsetzung des eigenen Entwurfs. Nebenbei zerreiben die Kinder getrockneten Ton zu Tonmehl und stellen unter Zugabe von Wasser Schlicker her, den sie zum Verkleben der Nahtstellen benötigen werden. Eine Tätigkeit, die bei den Kindern Befriedigung hervorruft.
Wir entschwinden in den Garten mit eisgekühlter Wassermelone.
Erneuter Besuch der Ausstellung. Umherschweifen, aufsaugen, den Museumsraum immer mehr als einen selbstverständlichen Ort empfinden.
Weiterarbeit an den begonnenen Werkstücken. Drei Stunden vergehen sehr schnell bei selbstvergessenem Tun; die Kinder sind enttäuscht, dass die Zeit bereits vorbei ist.
Am dritten Tag streben alle überpünktlichen Teilnehmenden direkt zu ihren begonnenen Werken und setzen ihre Arbeit konzentriert fort. Manchmal ist es ganz still im Werkraum; die schöne Stille einer entspannten Konzentration.
Aber warm ist es und da trifft es es sich gut, dass im Untergeschoss des Keramion eine herrliche Kühle anzutreffen ist nebst einer höchst abwechslungsreichen Sonderausstellung zum Thema Insekten. Wir erfahren etwas über Architektur – Räume unter der Erde sind kühl – und über zeitgenössische künstlerische und kunsthandwerkliche Keramik verschiedener Stilrichtungen. Die Kinder sprechen besonders die kleinen und großen Insekten in zum Teil schillernden Glasuren an, und sie sind begeistert zu sehen, welche unterschiedlichen Herangehensweisen die Künstlerinnen und Künstler besitzen können. So wie sie selber in ihrer kleinen Gruppe bereits dabei sind, acht absolut individuelle Architekturen zu erschaffen.
Der vierte und letzte Tag ist der Dekoration der nunmehr fertiggestellten Werke mit farbigen Engoben vorbehalten. Alle widmen sich mit höchster Konzentration der farbigen Ausgestaltung ihrer Gebäude aus Ton. Drei Farbschichten werden aufgetragen, um eine sorgfältige Deckung zu erzielen, sofern eine solche gewünscht ist. Das ist spannend, sehen doch die Engoben im feuchten und ungebrannten Zustand noch anders aus als auf den Farbtafeln zu sehen ist.
Beim Abschied wollen alle ihre Werke fotografieren, um deren Veränderung nach dem Schrühbrand und vor allem nach dem Glasurbrand später nachvollziehen zu können.
Tabita: „Ich hätte nicht gedacht, dass ich ein so großes Haus mit Turm bauen könnte!“. Werkstolz ist bei allen festzustellen, zufriedene Gesichter und staunende Eltern, zum Teil auch über die Größe der Objekte (zum Beispiel ein 50 cm hoher Turm). Alle freuen sich auf die nun ausstehende Präsentation, immerhin im Hauptausstellungsraum des Keramion!
Am 16.08.19 richten wir für die Kinder in einer Vitrine innerhalb der Ausstellung „Der umbaute Raum. Architekturen in Keramik“ eine Präsentation aller entstandener Werke ein.
Die Kinder sind stolz und überglücklich über eine solche Würdigung dessen, was sie mit ihren eigenen Händen geschaffen haben. Hier sehen sie dann ihre eigenen Arbeiten das erste Mal wieder und zwar in Nachbarschaft zu den Werken professioneller Keramikkünstler. Und das Keramion, das ist jetzt ein selbstverständlicher Ort für sie, indem sie sich ohne Schwellenangst bewegen.
Susanne Hanf im August 2019