WENN DER KÖRPER SPRICHT

Amelie Mallmann / TANZKOMPLIZEN
künstlerisches Bewegungsprojekt
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Foto: © Ralf Hiemisch
1. Ausgangspunkt für das Projekt

Im April 2019 wurde das Tanzstück „Wenn der Körper spricht“ (ab 5 Jahren) von Hanna Hegenscheidt in Berlin gezeigt. Es handelte sich dabei um eine Produktion von TANZKOMPLIZEN, der ersten Initiative Berlins, die ausschließlich zeitgenössischen Tanz für junges Publikum zeigt. Das Stück beschäftigte sich mit der Frage, welche „Sprache“ der menschliche Körper hat. Kann ich mein Kinderzimmer tanzen? Oder den Herbst? Wie tanze ich das Wort „möglicherweise“? Zehn Kinder der Kindertagesstätte am Bethaniendamm in Berlin-Kreuzberg hatten das Stück besucht. Da bereits eine enge Zusammenarbeit des Erziehers Benjamin Olzem mit der Tanzvermittlerin Amelie Mallmann bestand, wurde der Wunsch geboren, ein dreitägiges Projekt mit dem Thema „Körpersprache“ gemeinsam zu gestalten. Als drittes Team-Mitglied wurde Ralf Hiemisch, Fotograf und Alexandertechnik-Lehrer, beauftragt, das Projekt in Bildern zu dokumentieren.

2. Die Gestaltung der drei Tage

Am 1. Tag wurden die Kinder von uns in der Kita begrüßt und in die Schillertheater-Werkstatt, unserem Arbeitsort für diesen Tag, mitgenommen. Den ersten Tag stellten wir unter das Motto „Ankommen, Raum wahrnehmen, Körper wahrnehmen“. Wir luden die Kinder ein, den Raum kreuz und quer in ihrem eigenen Tempo zu durchwandern. Dann wurden verschiedene Tempi angesagt, um auszuprobieren, wie der Körper sich anfühlt, wenn sich die Geh-Geschwindigkeit verändert. Zu Musik konnten die Kinder den Raum selbst erkunden, Lieblingsorte finden und tanzen.

Foto: © Ralf Hiemisch

Wie spricht der Körper, wenn man nichts sieht? Die Kinder führten sich in Paaren durch den Raum: ein Kind hatte dabei die Augen verbunden, das andere war der/die Führende. Diese Übung brauchte viel Zeit, um sie ruhig und achtsam auszuführen und danach auch auszuwerten (warst du lieber Führende/r oder Folgende/r? Warum?)

In der Stresstherapie für Erwachsene ist der so genannte „Bodyscan“ beinahe schon ein Klassiker: Man liegt mit geschlossenen Augen auf dem Rücken und wird angeleitet, mit seinen Gedanken in jedes einzelne Körperteil zu wandern. Der Effekt: Entspannung, Ruhe, aber manchmal auch Unwohlsein und Kälte. Uns war nicht bekannt, dass diese Übung bereits mit Kindern durchgeführt worden wäre – wir versuchten es einfach. Anfangs hatten die Kinder Schwierigkeiten, ruhig zu liegen und die Augen geschlossen zu halten. Aber da wir als Leitende Bewegung und Augen öffnen nicht unterbanden, kehrten fast alle Kinder immer wieder freiwillig in die liegende Haltung zurück und befolgten die Anleitungen, mit den Gedanken in ein Körperteil zu gehen. Danach stellten die Kinder fest: „Ich fand es sehr schön, ich bin ganz ruhig geworden.“ „Mir ist kalt geworden!“ „Ich fand es schwierig, mich nicht zu bewegen.“ „Die Zeit ist schnell vergangen.“ Der Körper der Kinder – so sieht man es auch auf den Fotos – konnte sich ausdrücken, ohne sich zu bewegen:

Foto: © Ralf Hiemisch

Einige wollten wissen, ob sie es „richtig“ gemacht hätten. Daraufhin betonten wir einen wichtigen Aspekt des Projekts: Alle Erfahrungen sind „erlaubt“, es gibt kein richtig und falsch.

Als letzte Aufgabe an diesem Tag zeichneten die Kinder die Körperumrisse eines anderen Kindes nach, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie viel Fläche so ein Körper überhaupt einnimmt. Danach konnten sie mit verschiedenen Farben die Orte ihrer Gefühle einzeichnen, z.B. „meine Wut ist rot und sie sitzt im Bauch“, oder „wenn ich aufgeregt bin, fühlt sich das grün an und sitzt in den Füßen“ etc. Mithilfe dieser Übung konnten sich die Kinder darüber bewusst werden, dass der Ausdruck von Gefühlen im ganzen Körper sitzt – nicht nur im Gesicht.

Foto: © Ralf Hiemisch
Foto: © Ralf Hiemisch

Den zweiten Tag verbrachten wir bewusst in der freien Natur, im Grunewald: Von heller Sonne beschienen nahmen wir uns vor, herauszufinden, ob auch Pflanzen, Steine, Äste und Tiere eine „Körpersprache“ haben und was sie uns möglicherweise sagen wollen. Zur ersten Ortserkundung führten sich die Kinder nochmals mit verbundenen Augen durch den Wald. Das fühlte sich nun ganz anders an, denn der Untergrund war nicht mehr eben, es gab mehr Hindernisse, eine Biene könnte stechen …

Foto: © Ralf Hiemisch

Danach sollten die Kinder Objekte des Waldes in die Hand nehmen, sie erfühlen und riechen.

Foto: © Ralf Hiemisch
Foto: © Ralf Hiemisch

Nun war das Umfeld bekannt, einzelne Dinge des Waldes analysiert worden. Fehlte nur noch die Frage: Sind das alles auch „Körper“ und wie sprechen sie zu uns? Die Kinder konnten die vermeintlichen Botschaften von uns in vorbereitete Sprechblasen schreiben lassen:

Foto: © Ralf Hiemisch

Auch Tiere konnten eine Sprechblase bekommen:

Foto: © Ralf Hiemisch
3. Die Präsentation

Der dritte Tag stand ganz im Zeichen der bevorstehenden Präsentation. Die Grundfrage für uns Leitende war: Welche Erfahrungen, die die Kinder gemacht haben, sind zeigbar auf der Bühne? Was muss verändert und eingeübt werden, sodass sich alle Kinder sicher fühlen? Klar war, dass es keine „Inszenierung“ im klassischen Sinne geben kann, da es am dritten Tag nur zwei Stunden Probenzeit gab. Um den Kindern die größtmögliche Souveränität auf der Bühne zu geben, entschieden wir uns für eine „Collage der Erfahrungen“, die aus folgenden Elementen bestand und von Amelie Mallmann moderiert wurde:

  1. Die Kinder stehen in einer Reihe, jedes macht eine Bewegung zum eigenen Namen.
  2. „Wenn mein Körper spricht, dann …“: jedes Kind hält ein Bild eines koboldhaften Wesens in der Hand. Dieses „Gefühlsmonster“ hat einen bestimmten Gesichts- und Körperausdruck. Die Kinder vervollständigen den Satz zu ihrem Bild z. B. so: „Wenn mein Körper spricht, dann weine ich“ oder „Wenn mein Körper spricht, dann stampfe ich mit dem Fuß, weil ich wütend bin“ …
  3. Zur bekannten Musik laufen die Kinder kreuz und quer durch den Raum, immer wieder gibt es Stopps/Freezes, in denen Aufgaben zu hören sind: Macht euren Körper so flach wie den Boden, tanzt auf einem Bein, sucht euch einen Lieblingsplatz im Raum, tanzt, wie ihr noch nie getanzt habt! Gerade bei der
    letzten Aufgabe konnte man bei vielen Kindern eine ausgeprägte, eigene Körpersprache erkennen.
  4. An der Wand hängen die Plakate mit den Körperumrissen. Die Kinder stellen sich zu ihrem Bild dazu und erzählen, wo welche Gefühle sitzen.
  5. Diashow mit ausgewählten Fotos des Projekts, kurze Erklärungen von Amelie Mallmann und den Kindern
  6. Interaktives Element: Die Kinder fordern ein Elternteil auf, sich von ihm die Augen verbinden zu lassen. Nun führen die Kinder das Elternteil achtsam durch den Raum.
  7. Bodyscan mit Eltern: Alle Eltern sind eingeladen, sich auf den Bühnenboden zu legen. Amelie Mallmann leitet einen (etwas kürzeren) Bodyscan an, danach
    können die Eltern erzählen, wie es ihnen dabei ergangen ist.
  8. Ende und Beisammensein im Foyer mit mitgebrachten Speisen aller Eltern

Hier einige Eindrücke der Präsentation in der Schillertheater-Werkstatt:

„Wenn mein Körper spricht, dann habe ich Hunger.“

Foto: © Benny Golm

„Tanzt, wie ihr noch nie getanzt habt und lasst euren Körper sprechen.“

Foto: © Benny Golm

„was bedeutet der schwarze Strich: Was für ein Gefühl sitzt da in deinem Knie?“

Foto: © Benny Golm

Diashow mit Erklärungen

Foto: © Benny Golm

Blind führen mit Eltern

Foto: © Benny Golm

Nach dem Schlussapplaus

Foto: © Benny Golm
4. Fazit:

Unser Ziel war, mit möglichst wenig Leistungsdruck den Kindern intensive Erlebnisse und Erfahrungen mit ihrem eigenen Körper und dessen Ausdrucksfähigkeit zu ermöglichen – drinnen wie draußen. Der große Vorteil war, dass sich sowohl das Team, als auch die Kinder untereinander schon kannten und es eine Vertrauensbasis gab. Somit konnten wir Übungen anleiten wie den Bodyscan, dessen Durchführung mit einer uns nicht bekannten Gruppe weitaus schwieriger gewesen wäre.

Die Kinder hatten die Möglichkeit, Vieles zu lernen:

  • Zusammenarbeit mit anderen in der Gruppe, Vertrauen und gemeinsames Entscheiden
  • Beteiligung der Kinder von Anfang an, z.B. auch beim Einkauf der Materialien
  • Bewegungs- und Ausdrucksmöglichkeiten des eigenen Körpers, die eigene Körpersprache
  • Achtsames Wahrnehmen der Natur und künstlerischer Umgang mit Objekten (Sprechblasen, „Ausstellung“)
  • Umgang mit Aufregung vor der Präsentation
  • Die künstlerische Form einer Präsentation: Zusammenstellung von Elementen, der „rote Faden“, Präsenz und Stimme, Gefühl für den Raum und den Rhythmus

Wir Anleitende waren mit dem Prozess und dem Ergebnis des Projekts überaus zufrieden, eine Fortsetzung mit neuen Vorschulkindern ist bereits geplant.