Echt jetzt?

Biennale für aktuelle Fotografie e.V.
Projekt: Echt jetzt? Ein Kooperationsprojekt von Tine Voecks und der Biennale für aktuelle Fotografie 2020
Nähere Informationen auf biennalefotografie.de [→]

Echt jetzt?
Ist ein interaktives „Textverarbeitungsprogramm“ von Tine Voecks und hat 24 Menschen zum gemeinsamen Schreiben, Notieren und Spazieren versammelt. Als Kooperation mit der Biennale für aktuelle Fotografie fand Echt jetzt? in Form von fünf Workshops im Kontext der Ausstellungen When Images Collide / Wilhelm-Hack-Museum Ludwigshafen, All Art is Photography / Kunstverein Ludwigshafen und Between Art and Commerce / Port25-Raum für Gegenwartskunst Mannheim statt.

Der Ort an der Schwelle – Gedanken zum künstlerischen Vermittlungsprojekt Echt jetzt?
Tine Voecks, Künstlerin und Vermittlerin

Der folgende Text gibt Ihnen in kompakter Form Einblick in Prozesse von Echt jetzt? Die Textstruktur orientiert sich an Fragen und Aspekten, die für die Entwicklung des Projektes relevant sind. Es startet mit Vertrauen. Die Biennale für aktuelle Fotografie tritt im Oktober 2019 mit der Anfrage an mich heran, ein Vermittlungsprojekt zu entwickeln, das an verschiedenen Orten der Großausstellung stattfindet und an dem unterschiedliche Menschen mitwirken können.
Hinter der Ausstellung The Lives and Loves of Images steht die Frage nach der Lesbarkeit fotografischer Bilder. Ich forsche als Künstlerin und Vermittlerin zu Methoden des Notierens – als produktiver, gemeinschaftsstiftender, kritischer Reflexionspraxis:
Daraus wächst Echt jetzt? als Konzept und Vermittlungsformat, das (Vor-)Lesen und das Verfassen eigener Texte im Kontext von drei Fotoausstellungen erproben wird.

Grundlegende Idee ist, dass Echt jetzt? sichtbare Spuren in Form von Textblättern in den jeweiligen Ausstellungen hinterlässt, die einen zeitversetzten Dialog zwischen den Teilnehmenden des Vermittlungsprojekts, anderen Besucher*innen, den Organisator*innen und Ausstellungsmacher*innen der Biennale schaffen.
Die Vision ist, dass Vermittlungsarbeit über den Bereich des Ankündigungsprogramms hinaus sichtbar wird und mitspricht. Die Vision ist, dass Vermittlungsarbeit die Schwelle der Bewerbung eines guten Willens überschreitet und als gesellschaftlicher Gestaltungsmoment näher rückt.

Gruppenziele statt Zielgruppe
Echt jetzt? braucht Menschen, die mitgestalten. Wie kann sich das Projekt sinnvoll entwickeln? Wer hat welchen Gewinn aus der Zusammenarbeit?
Um dies herauszufinden, aktiviere ich mein Netzwerk an Freunden, Kolleg*innen, verteile Flyer und schreibe soziale Träger der Stadt Mannheim an, um mögliche Multiplikatoren möglichst früh einbinden zu können. Danke an dieser Stelle an Anne-Marie-Geisthard, die mit großem Engagement das Projekt über die Netzwerke von Kulturparkett Rhein-Neckar e.V. beworben hat. Ebenso Danke an den Internationalen Mädchentreff und dessen Träger – den Stadtjugendring Mannheim.
Ab Januar 2020 finden mehrere Kennenlern-Treffen statt. Ich besuche Einrichtungen und skizziere die Projektidee. Ich möchte horchen, was für Teilnehmende von Interesse ist. Personelle Vermittlung ist für alle Beteiligten eine Chance. Sie sagt mehr, als Ankündigungstexte und vor allem gibt sie die Gelegenheit Projektideen prozesshaft auf Grundlage eines Dialogs zu entwickeln.

Ende Februar eröffnet die Biennale für aktuelle Fotografie und ich konkretisiere das Projekt und entwerfe drei mögliche Arbeitssituationen für die drei beteiligten Institutionen. Ich bin aktiv unterwegs in den Ausstellungshäusern und beobachte: Was ist hier an Texten da? Wer spricht? Wer nicht?

Im März finden die Echt jetzt?-Workshops statt. Menschen zwischen 24 – 65 Jahren melden sich an und es entstehen sehr unterschiedliche produktive Arbeitsatmosphären. Zusätzlich arbeitet Echt jetzt? In zwei Workshops mit Mädchen des Internationalen Mädchentreffs zusammen – und mit Merve Kocak, die das Projekt an dieser Stelle pädagogisch und in Ihrer Sprachexpertise als Übersetzerin unterstützt.

Dann mischt sich Corona unvermittelt ein und die Ausstellungen werden geschlossen. Mit den angemeldeten Teilnehmer*innen der letzten zwei Echt jetzt?-Workshops initiiere ich daraufhin einen Email-Austausch zum Thema: Wenn keiner hinschaut.
Es ist sehr umfangreiches Textmaterial entstanden: Notizen zu konkreten Arbeiten, Skizzen, Audioaufnahmen von Diskussionen, die ich transkribiere. Die Teilnehmer*innen erlauben mir, aus den generierten Texten, final eine Textform zu entwickeln, die veröffentlicht werden kann – trotz Corona.
Die Arbeit an dieser Form nimmt gut zwei Wochen in Anspruch und gibt produktiven Raum für Rücksprachen und Nachbereitung mit den Teilnehmer*innen. Die Workshops enden so nicht abrupt, sondern es entsteht ein nachhaltiger Resonanzraum. Ich bekomme von zahlreichen Teilnehmer*innen sehr positives Feedback:

„Ich habe verschiedene Perspektiven von Menschen gehört, die ich vielleicht nie kennengelernt hätte, Beschreibungen, die mir niemals in den Kopf gekommen wären und die auch eine neue Dimension für die einzelnen Werke eröffnet haben. (….)
Hätte ich mich alleine mit Stift und Papier vor ein Bild gesetzt, wäre nicht das entstanden, das durch unser Zusammensein hier entstanden ist. (….)
Ich bin jetzt auch sehr überrascht, wir sind hier willkürlich zusammen gekommen und haben trotzdem eine kommunikative Ebene gefunden. War das jetzt Glück? Ich könnte mir auch vorstellen, dass manche Leute sagen – Oh ne – die sind alle komisch, ich sag jetzt einfach nichts!“

Dazwischen sein
Ich erfahre mich in diesem Projekt als Schnittstellenarbeiterin. Das eigenverantwortliche Handeln schenkt mir einen sehr großen Gestaltungsraum. Wie können die Möglichkeiten, die sich aus so einer solchen Position entwickeln, für alle Beteilgten, nachhaltig gedacht werden? Wie können „externe“ Vermittler*innen eingebettet werden in Strukturen?

Wunsch 
Raum für Nachbereitung, inhaltliche Reflexion und Feedback mit den teilnehmenden Mitgestalter*innen erscheint mir sehr wichtig. Ein solcher Raum kann auch produktiv zwischen Vermittler*innen und den jeweiligen Institutionen sein und ein nachhaltiges Gefühl von Kooperation ermöglichen. Dies denke ich auch als Chance für Institutionen, wenn sie sich zu einem gesellschaftlich relevanten Ort entwickeln möchten. Auf der anderen Seite steht die Realität der knappen Ressourcen und der Zeitdruck. Es geht um Verteilung. Wie können schon frühzeitig Strukturen miteingeplant werden, die Reflexion möglich machen?

Echt jetzt? – Wo? – Die Sichtbarkeit 
Wie umgehen nun mit der entstandenen Textform? Wo das Textteil Echt jetzt? sichtbar machen? – um trotz Corona jenen angestrebten Einblick in den Vermittlungsprozess und andere Stimmen zu zeigen. Wenn die Ausstellungen nun geschlossen sind, könnte die Homepage der Biennale für aktuelle Fotografie ein Ort für Sichtbarkeit sein. Diese Fragen führen uns – die Biennale und mich – in einen Aushandlungsprozess, der mich an die generelle Frage erinnert: Wie nah dürfen Stimmen, die nicht unsere eigenen sind, kommen? Wie nah darf Vermittlung kommen? (Der Kunst?) Hier wird es spannend.
Einen Einblick können Sie hier bekommen []

Echt jetzt? ist als Kooperationsprojekt reichhaltig durchzogen von ganz unterschiedlichen Ebenen des miteinander Sprechens.
Vielen Dank allen Beteiligten für das Vertrauen, für den Austausch und die Unterstützung, die Echt jetzt? möglich gemacht hat!

Fotos: Tine Voecks