GRUSEL – eine unheimliche Hörexpedition

Institution: pulk fiktion GbR
Projekt: GRUSEL – eine unheimliche Hörexpedition

Weiterführende Informationen:
GRUSEL | Pulk Fiktion →
GRUSEL | Theater Dortmund →
GRUSEL | Freie Werkstatt Theater Köln (FWT) →

Hinweis:
GRUSEL hat es als eine der 10 bemerkenswertesten Produktionen für junges Publikum in NRW in die Auswahl der 40. Ausgabe des Westwind Festivals NRW geschafft! (https://www.westwind-festival.de/home →)

GRUSEL

Das Publikum zieht aus, um das Gruseln zu lernen. Kinder und Erwachsene kommen in einem theatralen Live-Hörspiel zusammen. Zwischen fantastischen Geistern, Fledermäusen und Monstern sucht das Kollektiv Pulk Fiktion nach den Ängsten des Alltags und den Schrecken der heutigen Welt, um ihnen einen lustvollen Auftritt zu verpassen.

GRUSEL | Foto: Nathan Dreessen

Ausschlaggebend für die Produktion GRUSEL war der Wunsch und die Idee, sich mit dem Format von Gruselkabinetten und Geisterbahnen auseinander zu setzen und im Erleben von Schreck und Grauen gleichzeitig Lust und Leichtigkeit zu finden. Unmittelbar zu Beginn der Recherche und Auseinandersetzung stellten wir fest, dass vor allem dem auditiven Erleben eine besondere Rolle in diesem Genre zufällt und das zum Beispiel schaurige Momente im Mute-Modus schnell den Grusel verlieren. So begannen wir zu untersuchen, inwiefern wir einen Audiowalk für junges Publikum konzipieren können und wie wir die Katakomben und Gewölbe eines realen Theaters nutzen könnten – gerade das Unbehagen der verwinkelten langen Flure und Kellerräume der Theater haben uns sehr gereizt und inspiriert.

Da es für uns als Kollektiv kontinuierlich eine essentielle Frage ist, wie wir Stück für Stück Arbeitsprozesse und -strukturen Barriere-freier und diverser gestalten können und auch dem Publikum neue Zugänge zu ermöglichen, entschieden wir uns, eine Produktion sowohl für sehendes als auch für sehbehindertes Publikum zu konzipieren; schon im Arbeitsprozess wollten wir hierbei mit Künstler*innen mit Sehbehinderung kooperieren: dafür konnten wir Dirk Sorge als Musiker und Anna Berndtson als weitere Dramaturgin gewinnen.

GRUSEL | Foto: Nathan Dreessen

Zu Beginn der Zusammenarbeit am Kinder- und Jugendtheater Dortmund (KJT) Anfang Mai 2023 wurde allerdings wurde sehr schnell klar, dass allein aus sicherheitstechnischen Gründen und aufgrund von Brandschutzbestimmungen die Magazine und Hinterbühnen des Theaters nur wenig bis gar nicht genutzt werden könnten und diese für die Öffentlichkeit nicht ohne enormen Aufwand zugänglich sind. Gleichzeit verstanden wir auch, dass sich die beiden Ebenen „Hören über Kopfhörer“ und paralleles „Laufen und Bewegen im Raum“ für sehbehinderte Menschen nur begrenzt sicher anfühlen würde. Nach eingehender Beratung mit „Un-Label“, einer gemeinnützigen Kölner Organisation, die sich für Barrierefreiheit und Inklusion in Kunst und Kultur einsetzen, und in Rücksprache mit den beteiligten Ko-Produktions-Häusern sowie Kolleg*innen mit Sehbehinderung trafen wir die Entscheidung, dass wir nicht an einem klassischen Audiowalk-Format festhalten können würden und standen somit vor der Aufgabe, eine neue Form des theatralen Hörerlebnisses als Grusel-Kabinett zu entwickeln.

Die Produktion hatte folgenden Zeitplan: die Konzeptionsprobe begann mit einem Besuch im Freizeitpark „Phantasialand“, wo wir den Nervenkitzel, den Schauer und das lustvolle Gruseln live erleben und akustisch durch Selbsterfahrung dokumentieren wollten. Hier tauchte sofort eine Barriere auf: sehbehinderte Menschen können einen Großteil der Fahrgeschäfte aus Sicherheitsgründen nicht nutzen und die dahingehende Information wird online nicht ausreichend dargestellt und vermittelt. Nichtsdestotrotz erstellten wir Audio-Aufnahmen von unseren Erlebnissen und machten als Team unterschiedliche individuelle Erfahrungen.

GRUSEL | Foto: Nathan Dreessen

Die darauffolgenden Proben begannen mit Recherchen zu Hörspielen, Podcasts, Sounds und Erinnerungen an die Kindheit sowie Forschung zu persönlichen Momenten des Grusels. Hierfür arbeiteten wir hauptsächlich im Team von pulk fiktion in Köln in den Räumen des FreienWerkstattTheaters und fuhren für jeweils drei Tage/Woche ans KJT nach Dortmund, um dort das Ensemble einzubinden. In dem Kölner Arbeits-Prozess entstanden schnell kleine Audio-Try-Outs, die wir gruppenweise an uns testeten.

Und auch die bei uns inzwischen etablierte Probentechnik der „ABC-Impros“ generierte innerhalb kürzester Zeit viel unterschiedliches Material. Darüber hinaus interviewten wir unterschiedliche Kinder im Grundschulalter, transkribierten die Interviews und unternahmen erste Versuche die Grusel-Erfahrungen der Kinder auditiv zu bearbeiten. Nach der intensiven Recherche-Phase und Konzeption erstellten wir eine Grundsituation für die Bühnen-Produktion, die ab August 2023 am KJT Dortmund probiert wurde, am 09. September 2023 als Spielzeiteröffnung zur Premiere kam und diese Spielzeit als Teil des Repertoires im Spielplan läuft.

Ende Oktober 2023 übertrugen wir in einer einwöchigen Probenzeit die Produktion auf ein Ensemble, welches ausschließlich aus assoziierten Performer*innen von Pulk Fiktion besteht und spielten hier insgesamt sechs Vorstellungen, die sehr gut besucht waren und von Publikum und Kritik gleichermaßen ausnehmend positiv rezipiert wurden. Die Produktion wird im Jahr 2024 wieder aufgenommen werden Die Premiere am Forum Freies Theater (FFT) Düsseldorf wird am 06. März 2024 stattfinden.

GRUSEL | Foto: Nathan Dreessen

Für uns als Theaterschaffende war es besonders spannend, uns im künstlerischen Prozess kontinuierlich auf die auditive Erzähl-Ebene zu fokussieren, die bildlichen Ebenen bewusst einzusetzen, mit dieser Limitation umzugehen und uns selbst immer wieder zu befragen, wie eine rein visuelle Bildsprache eine Barriere innerhalb des Arbeitskontext darstellt. Es war sehr aufschlussreich festzustellen, dass wir durch eine gefühlte „Einschränkung“ eine größere Aufmerksamkeit gewinnen konnten und sehr viel mehr über Gerüche, Tasten, starke Lichteffekte und selbst Luftbewegungen nachdachten.

Wie oben erwähnt, mussten wir uns aus unterschiedlichen Gründen bereits in der Konzeptionsphase auf ein neues Format einlassen und den uns (schon bekannten) Pfad des „Sitespecific Audiowalks“ verlassen. Eine einerseits durchaus spannende künstlerische Erfahrung, die allerdings mehr Arbeit und Planung für das Team bedeutete. Das nun festgelegte Format nimmt den Theaterraum als Art „Gruselmaschine“ an und versucht, Theater-Effekte des Grusels und Schauers ausreizen. Dazu sitzen rund 30 Zuschauer*innen verteilt im Bühnenraum, tragen on-ear Kopfhörer und erfahren unmittelbar Gruselmomente mit und durch die Performenden, die wir dramaturgisch mit den Gruselmomenten der interviewten Kinder verknüpfen. Zu erwähnen ist, dass auch die Entscheidung für Kopfhörer für alle Zuschauer*innen und dabei eine Entscheidung gegen over-ear, und für on-ear Kopfhörer ein langer Prozess war. Sowohl aus Sicht der Barrierefreiheit, als auch wegen technischen Anforderung und aufgrund von Fragen, welche die Soundqualität betreffen.

GRUSEL | Foto: Nathan Dreessen

Unsere Arbeit „GRUSEL“ sollte von Anfang an nicht zuvorderst die Kriterien einer tourfähigen Produktion ins Zentrum stellen, sondern vor allem als ortsspezifische und anzupassende Theaterproduktion in den koproduzierenden Häusern FFT Düsseldorf, FWT Köln und KJT Dortmund entwickelt werden. Durch die Kooperation mit dem KJT Dortmund gab es von vornherein zwei Besetzungen: eine für das KJT Dortmund mit drei Spieler*innen vom hauseigenen Ensemble und einem Spieler von pulk fiktion und eine Besetzung mit vier Spieler*innen aus dem pulk-Kosmos für die Aufführungen am FWT Köln und am FFT Düsseldorf.

Die Vorstellungen von GRUSEL sind auf 30 Personen beschränkt, und richtet sich an Zuschauer*innen ab 8 Jahren. Die vorliegenden Zahlen von Oktober/November 2023 des FWT Köln zeigen eine Auslastung von 98%, die Vorstellungen am KJT Dortmund waren in der ersten Spielzeithälfte zu einem großen Teil ausverkauft.

Wir beschäftigen uns nach wie vor mit der Frage, wie wir gezielt und nachhaltig neue Zuschauer*innen-Gruppen und Communities ansprechen können, für die eine Produktion wie GRUSEL interessant sein könnte und sind hierfür unter anderem im direkten Austausch mit dem mittendrin e.V. Köln, einer Beratungsstelle für Inklusion. Durch die Kooperation mit dem KJT Dortmund konnten wir im September 2023 einen Audioflyer veröffentlichen, für das Programmheft einen Einleger in Brailleschrift produzieren und einen Trailer drehen, der sowohl sehendes als auch sehbehindertes Publikum mitdenkt. Audioflyer für die kommenden Vorstellungen im Jahr 2024 in Köln und Düsseldorf sind bereits erstellt.

Medienstimmen:

„Die Schauspieler schlüpfen in der Inszenierung von Hannah Biedermann und Norman Grotegut von pulk fiktion in viele Rollen: Ein Skelett mit schwerer Kette (Jan Westphal) huscht zwischen dem Publikum herum, Gastspieler Mohammed Marouf Alhassan lässt seinen Kopf um 360 Grad kreisen und trägt ihn auch schon mal (…) unterm Arm, Rainer Kleinespel gibt einen Vampir und Johanna Weißert spielt eine mysteriöse Katze sowie eine tröstende Mama. (…) Windmaschine, Nebel, quietschende Türen und Treppengepolter (…) (Ausstattung: Ria Papadopoulou) sorgen für wohlige Schauer-Atmosphäre, die immer wieder gebrochen wird.“
(Ruhr Nachrichten, 09. September 2023)

„(…)Im Bereich des Kindertheaters arbeitet das FWT seit mehreren Jahren mit der Kölner Performancegruppe Pulk Fiktion zusammen. Die neueste Koproduktion „Grusel“ (Regie: Hannah Biedermann und Norman Grotegut) richtet sich als „Live-Hörspiel“ an blinde wie sehende Menschen ab acht Jahren. Die jungen Theatergänger bekommen Funkkopfhörer ausgehändigt, werden einzeln in einen abgedunkelten Raum geführt, Stühle finden sich im ganzen Raum, und unter ihnen Kuscheldecken zur Sicherheit, Bühne gibt es dagegen keine, das Theater verwandelt sich zur Geisterbahn. Jetzt wird erschreckt. Aber keine Panik: Die vier Darsteller erzählen vorher genau, was als Nächstes passieren wird. Ein einsames Telefon klingelt, ein Kopfloser tanzt durchs Zimmer, ein Sturm zieht auf, ein Werwolf unterhält sich mit einem Vampir. Und plötzlich schwebt ein Kind auf seinem Stuhl, von Geisterhänden getragen. Dazu berichten andere Kinderstimmen von ihren Ängsten, von pochenden Türen und knarzenden Dielen, oder von den gedämpften Geräuschen, die aus der Küche kommen, wo die Eltern noch mit Freunden feiern. Rätselhaft und seltsam sind sie, diese Erwachsenen und ihre Welt manchmal unheimlich. Und nicht weniger unheimlich ist es, wie gut diese Erwachsenen berechtigte Zukunftsängste zu verdrängen gelernt haben. In der Verbindung von Spiel und Dokumentation, von spontaner Interaktion und kindgerechter Aufarbeitung zum Teil hochkomplexer Themen macht Pulk Fiktion zurzeit niemand etwas vor (…)“
(Christian Bos, Kölner Stadtanzeiger, 08.11.2023)

GRUSEL | Foto: Nathan Dreessen
GRUSEL | Foto: Nathan Dreessen
GRUSEL | Foto: Nathan Dreessen
GRUSEL | Foto: Nathan Dreessen
GRUSEL | Foto: Nathan Dreessen
GRUSEL | Foto: Nathan Dreessen
GRUSEL | Foto: Nathan Dreessen
GRUSEL | Foto: Nathan Dreessen
GRUSEL | Foto: Nathan Dreessen
GRUSEL | Foto: Nathan Dreessen
GRUSEL | Foto: Nathan Dreessen